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Wissensmanagement im Customer Service

„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Das kennen Sie natürlich. Doch, bei aller gebotenen Bescheidenheit – denn wer weiß schon alles? – möchte ich trotzdem heute eine ganz andere Frage stellen: Wissen Sie eigentlich, was Sie alles wissen?

Was so philosophisch klingt, hat ganz konkrete Auswirkungen auf Unternehmen. Können Sie zum Beispiel auf Anhieb Ihr gesamtes Wissen abrufen und niederschreiben? Und wenn es für eine einzelne Person schon schwierig ist, das eigene Wissen umfassend zu beschreiben, wie soll ein ganzes Unternehmen das je schaffen? Das kann nur mit einer durchdachten Priorisierung funktionieren.

Von Themenheld:innen und Transparenz

Dass es dringend notwendig ist, liegt auf der Hand: Immer wieder sprechen wir über den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel. Wissen ist dabei zu einer essenziellen Währung geworden. Denn wenn Fachexpert:innen das Unternehmen verlassen oder auch nur ein paar Tage nicht erreichbar sind, darf der Betrieb nicht zum Erliegen kommen. Das Wissen dieser Personen muss trotzdem zur Verfügung stehen, insbesondere bei ohnehin schon knappem Personal. Solche „Themenheld:innen“ sind meist hoch respektiert und stehen gleichzeitig unter enormem Druck, denn sie wissen, wie wichtig sie für ihr Unternehmen sind. Redundante Server-Architekturen und Speicher-Backups sind für uns längst zu Selbstverständlichkeiten geworden, die den reibungslosen Ablauf auch bei Ausfällen sicherstellen. Doch beim Fachwissen verlassen sich noch immer viele Unternehmen auf Single Points of Failure.

Stellen Sie sich vor, Sie führen ein Unternehmen.

Der naheliegende und sinnvolle Weg, mit dem potenziellen Verlust von Fachkräften und ihrem Wissen umzugehen, ist es, Wissen zu konservieren und allen Mitarbeiter:innen zugänglich zu machen. Dazu nutzen Sie bestenfalls ein Knowledge-Management-System – ein spezialisiertes Redaktionssystem, das für die Erfassung und den Abruf von Wissen ausgelegt ist. Zu theoretisch? Schauen wir uns das am Beispiel des Customer Supports an. Dort fallen täglich unzählige Fragen an, die mit Wissen beantwortet werden. Wenn alle Agents auf das gesamte Wissen Ihres Unternehmens zugreifen könnten, wieviel effizienter würde dann Ihr Support arbeiten? Richtig, sehr viel effizienter: Tickets werden seltener weitergeleitet, die First Contact Resolution Rate steigt und die Time to Resolve sinkt.

Etwas gesunde Skepsis ist hier sicher nicht verkehrt. Ich verspreche nicht wenig. Das „Kleingedruckte“ ist die Umsetzung: Wie gelangt das Wissen aus den Köpfen ins System? Und vor allem wann? Ihren Supporter:innen werden sofort viele Dinge einfallen, die sie zu „Papier“ bringen könnten. Dinge, die sie immer wieder gefragt werden. Die Anleitung, die sie schon mehrmals weitergeleitet haben. Und war da nicht noch ein FAQ irgendwo? Doch der Arbeitsalltag steht nicht still. Neue Support-Anfragen kommen weiterhin an und wollen bearbeitet werden. Und die Service Level Agreements (SLA) warten auch nicht.

Effizient dokumentieren

Es gibt folglich zwei fundamentale Probleme: Zum einen kennen Menschen ihr eigenes Wissen nicht genau. Das klingt auf den ersten Blick vielleicht etwas merkwürdig, aber wenn man sich vorstellt, man müsste alle Einträge der eigenen Gedächtnisdatenbank „ausdrucken“, wird schnell klar: Das geht nicht. Gelerntes taucht immer dann auf, wenn es angewandt wird. Und dann auch nicht vollständig, sondern nur mit den im Augenblick relevanten Teilen. Zum anderen fehlt einfach die Zeit zum Dokumentieren – insbesondere im Kunden-Support.

Statt zu versuchen, das gesamte Wissen sofort möglichst vollständig, korrekt und aktuell in die neue Wissensdatenbank aufzunehmen, arbeitet man am besten entlang der auftauchenden Fragen. Die Antwort auf jedes Ticket – ja eigentlich auf jede Frage – beginnt mit der Suche in der vorhandenen Wissensdatenbank. Wenn eine Antwort vorhanden ist: Prima, Aufwand gespart! Bei Bedarf noch ein paar Ergänzungen und dann raus damit zum Anfragenden. Wenn keine bestehende Lösung zu finden ist, wird ein neues Dokument angelegt und dies versendet. Es geht dabei nicht um perfekte, allumfassende Dokumente – die für das aktuelle Ticket relevanten Informationen sind wichtig. Vollständigkeit und Aktualität regeln sich von selbst über weitere Ergänzungen bei einer Wiederverwendung. Wird es nicht wiederverwendet, sind fehlende Details irrelevant.

Noch eine Fußnote im Kleingedruckten: Wenn Schlag- und Suchworte nicht zusammenpassen, kommt es manchmal zu Artikeldopplungen. Sie gehören mit in das Thema „Ergänzungen bei Bedarf“. Sobald solche Dopplungen auffallen, können sie in einen gemeinsamen Artikel zusammengeführt und um die Schlagworte voneinander ergänzt werden.

Das Charmante an dieser Vorgehensweise ist, dass kaum Extraaufwände für die Dokumentation entstehen. Sie ergibt sich aus dem Arbeitsalltag heraus. Mit der Zeit enthält die Wissensdatenbank alle Antworten, die jemals gegeben wurden, ergänzt und korrigiert von allen, die Wissensfragmente beitragen können. Die Basis dieses Vorgehens bildet Knowledge Centered Service (KCS®) – ein Set an Methoden und Best Practices für das Wissensmanagement im Service. KCS® ist eine geschützte Marke des Consortium for Service Innovation.

Die Bereitstellung von Wissen

Viele Wissensartikel lassen sich wunderbar mit multimedialen Inhalten zielgruppengerecht aufbereiten: Bilder, Videos oder Augmented Reality sagen oft mehr als 1.000 Worte. Das Finden von Wissen sollten Sie mit einer Suche ermöglichen. Auch hier können weitere Formate sinnvolle Ergänzungen sein: Ein Diagnose-Tool oder ein interaktiver Chatbot sind niedrigschwellige Helfer, deren Nutzung sich nahtlos in den Support-Prozess einbetten lässt.

Wenn die Wissensdatenbank Form angenommen hat und einen großen Teil der häufigen Fragen mit bestehenden Artikeln beantworten kann, ist es Zeit für den Schritt an die Öffentlichkeit. Es gilt wie immer das Pareto-Prinzip: 80 Prozent der eingehenden Fragen können mit 20 Prozent des Wissens beantwortet werden. Kund:innen werden sich bereitwillig selbst helfen, wenn ihnen ein entsprechendes Portal zur Verfügung steht. Insbesondere an dieser Stelle werden weitere Arten des Wissenszugriffs wichtig, die über eine Suche hinausgehen. Ein Foto des Schadens, das mit Hilfe von KI analysiert wird und so direkt zur Lösung führt, oder das proaktive Anbieten von Terminen mit Servicetechniker:innen sind nur zwei von vielen Möglichkeiten. Die Betrachtung der Customer Journey rückt dabei die Kundenbedürfnisse in den Vordergrund und macht Ihren Kunden-Support zu einer echten Serviceeinheit.

Vertrauen als Basis für einen umfassenden Wissenspool

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf die Problematik „Themenheldentum“ eingehen. Fachexpertise ist selbstverständlich richtig und wichtig. Was sie nicht werden darf, ist ein gut gehüteter Schatz, durch den sich Mitarbeiter:innen unentbehrlich machen wollen – als Schutz davor, plötzlich überflüssig und ersetzbar zu werden. Damit Ihre Held:innen ihr Wissen preisgeben, benötigt es ein Höchstmaß an Vertrauen und Transparenz im Unternehmen. Wenn Sie also eine Führungsrolle einnehmen, habe ich eine Bitte an Sie: Fördern Sie Kooperation und Offenheit statt Eigenbrötlerei, sodass Mitarbeiter:innen ihr Wissen teilen können, ohne an Bedeutung im Unternehmen zu verlieren. So entwickelt sich eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

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Autoreninfo

Sonja Stange ist Computerlinguistin und Master Business Consultant bei Materna in der Abteilung Business Innovation. Ihre Themenschwerpunkte sind Wissensmanagement und Künstliche Intelligenz im Kundenservice.

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