Klassisch, agil oder hybrid? Lesen Sie hier, welche Kriterien Sie bei der Wahl der richtigen Projektmanagement-Methode unterstützen.
Prozesse und Methoden im Projektmanagement sind nur dann effizient und erfolgreich, wenn das gewählte Vorgehensmodell zur Ausgangssituation passt und das Mindset der beteiligten Personen mit den Anforderungen und Prinzipien der jeweiligen Methode harmoniert.
Es geht aber nicht darum, für jedes anstehende Projekt ein eigenes Vorgehensmodell zu wählen, sondern einen Ansatz zu finden, der sich für den Großteil der Projekte eignet. Es ist auch möglich, dass es für bestimmte Projekttypen oder -arten in der Organisation jeweils ein Vorgehensmodell gibt. Diese weisen dann lediglich typenspezifische Unterschiede auf, besitzen aber einen gemeinsamen Rahmen. Die Auswahl eines passenden Vorgehensmodells ist durchaus anspruchsvoll. Es gibt eine Reihe von Kriterien und Modellen, die die Entscheidungsfindung unterstützen. Dazu gehören beispielsweise als einfache Schemata die Stacey-Matrix oder Einteilungen nach Ebert (2014, siehe Abbildung 1), Wysocki (2014) sowie Schelle (2014).
Die Stacey-Matrix als ein Beispiel teilt sich als Diagramm folgendermaßen auf (siehe Abbildung 2):
- Auf der horizontalen Linie wird das „Wie“ definiert. Also wie viel Wissen existiert bereits über z. B. die Technologien, mit denen gearbeitet werden soll.
- Auf der vertikalen Linie wird definiert, wie viele der konkreten Anforderungen zum aktuellen Zeitpunkt bekannt sind und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich diese im Projektverlauf verändern.
Hier wird dargestellt, dass sich für komplexe Problemstellungen agile Ansätze wie Scrum eignen, da die Ursache-Wirkungsbeziehungen noch nicht klar sind und sich eine schrittweise Annäherung hier gut eignet. Ursache-Wirkungszusammenhänge sind nicht von Anfang bis Ende durchschaubar.
Das Modell von Boehm und Turner (2008) berücksichtigt die weiteren Kriterien Menschen, Stabilität der Anforderungen, Unternehmenskultur, Projektteamgröße und Gefährdungspotenzial und ist daher aussagekräftiger.
Für die Auswahl und Anpassung eines passenden Standards oder Vorgehensmodells ist letztlich die Antwort auf die Frage entscheidend, inwiefern diese die Organisation dabei unterstützen, ihre Projekte oder Programme effektiv und effizient zu realisieren. Und: Erst wenn diese Auswahl unter Berücksichtigung der Ist-Situation und der Zielsetzungen der Organisation, Übernahme (Adoption) und die organisationsspezifische Anpassung oder Ausgestaltung für die Vorgehensmodelle (Adaption) mindestens geplant ist – und klar ist, wohin die Reise geht –, sollte sich eine Organisation mit der Frage nach dem zu nutzenden Tool auseinandersetzen! Das Tool soll die Abläufe unterstützen – und es sollte nicht andersherum laufen, dass mühselig und an jeder Effektivität vorbei versucht wird, Abläufe und organisationsspezifische Konzepte für die Vorgehensmodelle im Projektmanagement so zu verbiegen, dass sie sich im Tool abbilden lassen!
Fragen, die bei der Auswahl und Anpassung des Vorgehensmodells helfen können, beziehen sich beispielsweise auf die folgenden Aspekte und Überlegungen aus der klassischen und agilen Welt, die auf den Überlegungen von Timinger (2017) basieren:
Relevante Aspekte und Fragen | eher klassische Ansätze | eher agile Ansätze |
Projekttyp | RZ-Umzug, Rollout-Projekte, Produkt-/Software-Weiterentwicklung etc. | Software-/Produktentwicklung, Innovationen etc. |
Ziele und Stabilität der Anforderungen | Ziele sind SMART formulierbar, über den Projektverlauf konstant oder nur geringfügigen Änderungen unterworfen | Unscharf, eher Vision; häufige Änderungen in Zielen und Anforderungen sind zu erwarten |
Teamgröße, räumliche Verteilung der Teammitglieder im Projekt, Einsatzdauer der Mitglieder im Projektteam | Viele Teammitglieder, die Projektleitern und ggf. zudem einem Lenkungsausschuss in der „Projekthierarchie“ unterstellt sind, verteilte Teammitglieder | Fünf bis neun Teammitglieder in gleichbleibender Zusammensetzung in einem Projektraum |
Skills und Aufgaben der Projektteam-Mitglieder | Verschiedene Experten, die fachspezifische Aufgaben übernehmen | Experten und weitere Mitarbeiter, die cross-funktionale Aufgaben und Perspektiven übernehmen |
Kenntnisse und Fähigkeiten | Wissen über klassische Projektmanagement-Methoden, dementsprechende Erfahrungen und Zertifizierungen | Wissen über agile Projektmanagement-Methoden plus Lean, Six Sigma, Kanban etc., dementsprechende Erfahrungen und Zertifizierungen |
Einsatzform bzw. Entbindung von weiteren Aufgaben der Teammitglieder | Teammitglieder können mehreren Projekten zugeordnet sein | Teammitglieder ordnen sich idealerweise nur einem Projekt zu |
Koordination und Hierarchie im Projekt | Eher Top-Down-Koordination in der „Projekthierarchie“ | Selbstorganisierte Teams mit hoher Eigenverantwortung |
Arbeitsform | Langfristiges Arbeiten bei temporärem Austausch mit den Kunden | Iteratives Arbeiten mit regelmäßigem Feedback und Austausch mit den Kunden, hohe Kundenorientierung/-nähe |
Arbeitsweise | Prinzip der weisen Voraussicht und der holistischen Planungsmöglichkeit | Prinzip von Versuch und Irrtum, schrittweise Näherung |
Berücksichtigung des Nutzens | Nutzen während oder nach Abschluss des Projektes | Angestrebte Wertsteigerung nach jeder Iteration (Sprint) durch das jeweilige Produktinkrement |
Werte | Kooperation, Führung | Verantwortung, Wertschätzung und Vertrauen, Weiterentwicklung durch Feedback und Lernen |
Dokumentationsanforderungen, Steuerungs-/Controlling-Bedarf, regulative Anforderungen | hoch | gering |
Arbeitsweise von Stakeholdern, mit denen zusammengearbeitet wird (Schnittstellen, Integration) | eher klassisch (Synchronisation möglich) | eher agil (Synchronisation möglich) |
Die verschiedenen Kriterien können genutzt werden, um eine Auswahl für das Vorgehensmodell und seine Ausprägung bewusst vornehmen und auch visualisieren zu können (siehe Abbildung 3). Die Liste der Kriterien kann erweitert und angepasst werden, um sie auf die Bedürfnisse der jeweiligen Organisation anpassen zu können. Auch eine Integration mit dem Projektportfoliomanagement ist möglich.
Für die Ausgestaltung eines Vorgehensmodells kann ein Ordnungsrahmen hilfreich sein und auch Orientierung für die unterschiedlichen Vorgehensmodelle unter dem Dach einer Organisation bieten.
Wer sich für das Thema interessiert, dem empfehle ich einen Blick auf den Ordnungsrahmen für hybrides Projektmanagement, der die Bereiche Führung, Projektlebenszyklus und Abläufe im Projektmanagement abdeckt.
Wenn Sie weitere Fragen zum Projektmanagement haben, schreiben Sie gerne an sales@materna.de
Literaturangaben
Boehm/Turner (2008): Balancing agility and discipline. A guide for the perplexed, Adison-Wesley
Ebert (2014): Systematisches Requirements Engineering, dpunkt.Verlag
Schelle (2014): http://gpm-blog.de/projektklassifikationen-und-handlungsempfehlungen-fur-das-projektmanagement/, aufgerufen: 22.08.2019
Timinger (2017): Modernes Projektmanagement – Mit traditionellem, agilem und hybridem Vorgehen zum Erfolg, Wiley
Timinger/Seel (2016): Ein Ordnungsrahmen für adaptives hybrides Projektmanagement, Projektmanagement aktuell
Alle Beiträge dieser Blog-Serie:
Teil 1: Projektmanagement-Methoden: klassisch, agil und hybrid
Teil 2: Gut planbar, wenig Überraschungen – so hilft klassisches Projektmanagement
Teil 3: Da ist Bewegung drin! – Schritt für Schritt zum Ziel mit agilem Projektmanagement
Teil 4: Die Mischung macht’s! – Hybrides Projektmanagement ist oft der Schlüssel
Teil 5: So finden Sie die richtige Projektmanagement-Methode für Ihr Projekt