Bei Gesprächen mit Kunden und Experten der öffentlichen Verwaltung kommt immer wieder die Frage auf, wo wir heute eigentlich bei der Umsetzung der digitalen Verwaltung in Deutschland stehen. Hierzu gibt es durchaus unterschiedliche Aussagen, je nach Sichtweise. Viele Analysen zählen einfach nur die Menge der Dienste und Verfahren, die für die Bürger digital verfügbar sind. So gesehen schneidet Deutschland im europäischen Vergleich in der Tat unterdurchschnittlich ab. Heißt das, dass E-Government in Deutschland nicht vorankommt? So einfach ist die Antwort dann doch nicht.
Für eine faire Diskussion sollte eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Situation in den Ländern berücksichtigt werden. Der föderative Aufbau der Bundesrepublik mit einer Verwaltungshoheit auf jeder Ebene führt zu komplexen Verfahren mit vielen Beteiligten. Diese haben heute für sich gut funktionierende Abläufe etabliert. Eine solche jahrzehntelang eingeübte Verwaltungspraxis kann man eben nicht im Vorbeigehen grundlegend verändern. Jeder Verwaltungsakt muss schließlich rechtskonform sein.
Aber genau diese radikalen Änderungen sind eigentlich notwendig, möchte man einfach zu nutzende digitalisierte Verfahren schaffen. In der Praxis werden heute bestehende Abläufe möglichst nahe am Original digitalisiert. Ein schon per se umständliches Verfahren wird jedoch nicht effizienter, wenn es digitalisiert wird. Darüber hinaus müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Einsatz moderner Technologien erlauben. Das soll hier kein Vorwurf an die Verantwortlichen sein, denn die Behörden können sich auch nur innerhalb der vorgegebenen Richtlinien bewegen.
Ein Beispiel hierfür ist der neue Personalausweis (nPA). Die elektronischen Funktionen sind eine wirklich tolle Sache und könnten viele Abläufe durch die vereinfachte Authentifizierung beschleunigen. Das Problem: Der Bürger muss zunächst ein Lesegerät kaufen, das vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zugelassen ist. Mit dieser Hürde verbaut man sich die breite Nutzung des nPAs, noch bevor der Anwender überhaupt die Möglichkeit hat, die Technologie für sich einmal zu testen.
Für die nächste Digitalisierungswelle in der öffentlichen Verwaltung benötigen wir ein neues Mindset in den Köpfen der Verantwortlichen. Viele der bisherigen E-Government-Angebote stellen die Anforderungen der Bürokratie in den Vordergrund. Das steht häufig im Gegensatz zu den Erwartungen der Bürger. Diese erwarten höchste Nutzerfreundlichkeit und einfachste Verständlichkeit, wie es die Online-Welten von Google oder Amazon vormachen. Darüber hinaus sollte dringend mit der Schriftformerfordernis aufgeräumt werden, inklusive der Anforderung einer händischen Unterschrift. Authentifizierungsverfahren wie eine qualifizierte elektronische Signatur sind heute schon einsetzbar.
Weiteres Optimierungspotenzial bietet das weite Feld der Datenhaltung in konsolidierten Registern der öffentlichen Verwaltung. Über 200 Register verarbeiten Daten von Personen und Unternehmen, ohne dass ein Abgleich oder eine Weitergabe dieser Informationen stattfindet. Mit einer einmaligen zentralen Datenerfassung – das sogenannte Once Only Verfahren – würden viele Anfragen und Abläufe vereinfacht. Aktuelle E-Government-Projekte im Bereich Bürger- und Geschäftsservicekonten gehen bereits in diese Richtung.
Fazit
Was bleibt, ist der Wunsch, dass der Staat regulatorische Hürden rechtlich überdenkt und konzeptionell verschlankt. Dafür sind innovatives Denken und Mut notwendig, insbesondere in einem föderalen Staat. Bisherige Diskussionen zu E-Government stellen meist Kostensenkungen in den Vordergrund, die durch effizientere Verwaltungsabläufe erreicht werden. Wir benötigen jedoch mehr Innovation bezüglich der Inhalte, Prozesse und Verfahren, bis hin zu einer gewissen Kreativität und mehr Freiraum in der Ausgestaltung digitaler Verwaltungsprozesse.
Die digitale Transformation unser Lebens- und Arbeitswelten wird staatliches Verwaltungshandeln immer vor sich hertreiben. Themen wie Chatbots oder Blockchain sollten daher auch einmal in experimentellen Projekten in der öffentlichen Verwaltung zum Einsatz kommen dürfen. Nicht um der Technologien willen, sondern um frühzeitig eigenes Know-how zur Beurteilungsfähigkeit aufzubauen. So könnte Deutschland in einigen Jahren tatsächlich an die Spitze der E-Government-Umsetzung in Europa klettern.